Dem Harten weichen


Das Harte ist nur scheinbar im Vorteil und siegt. Das Weiche und Biegsame hat ein Imageproblem. Wir müssen das ändern.

Muss das eigentlich sein? Je besser es uns (materiell) geht, desto härter sind wir mit uns selbst. Selbstoptimierung und Perfektion sind angesagt. Lustvoll unterwerfen wir uns eisernen Exerzitien. Beweisen uns und anderen, dass wir weder «Weicheier» noch «Warmduscher» sind, sondern stark und diszipliniert. Allzeit zu Höchstleistungen bereit. Das ist gut fürs Image im Büro und karrierefördernd.

«No sports» traute sich nach Churchill, niemand mehr laut zu sagen. Dabei wurde der «zigarrenfressende», dem Whisky sehr zugeneigte, exzentrische und alles andere als disziplinierte Sprössling aus englischem Adel auch ohne ständige Leibesübungen uralt. Seine Vitalität war – wie auch seine Neigung zu Exzentrik und Exzessen – legendär, und seine größten Erfolge feierte der Literatur-Nobelpreisträger und Staatsmann in einem Alter, in dem andere sich in den Ruhestand verabschieden.

Dass wir heute so hart mit uns sind, hat mit dem materiellen Überfluss zu tun, in dem wir leben. Wer das Glück hatte, in unser Nachkriegseuropa hineingeboren worden zu sein, musste für sein Privileg, in Wohlstand und Sicherheit zu leben, nicht viel leisten. Dafür müssen wir uns nicht bestrafen. Wir können uns auch einfach darüber freuen.

Wenn es trotz Überfluss Knappheit an lebenswichtigen Gütern gibt, hat das einen einfachen Grund: Mittel und Zweck des Wirtschaftens wurden im 20. Jahrhundert vertauscht. Statt das Gemeinwohl zu mehren und allen ein gutes Leben zu ermöglichen, stehen Konkurrenz, Wachstum und Geldvermehrung im Zentrum von Politik und Wirtschaft.

Die Härte, mit der Unternehmen, Nationen, Eliten und religiöse Fundamentalisten ihre Ziele durchsetzen, ist weder originell noch neu, noch notwendig. Vor allem aber war angesichts der endlosen Möglichkeiten, die wir heute haben, so überflüssig und so sinnlos.

Den Bösen das Böse mit Härte austreiben?

Kann man den Bösen, die für Leid und Zerstörung Verantwortung tragen, «das Böse» austreiben? Und wenn ja, wie? Antony Burgess, ein englischer Romancier, gibt in «Fürst der Phantome» auf diese Fragen eine interessante Antwort. Der Ich-Erzähler erteilt dem zum Papst aufgestiegenen (verlogenen und korrupten) Kirchenmann eine heilsame Lektion. Erst die Erfahrung des Schmerzes, macht aus ihm einen guten Christenmenschen. Hat er Recht?

Die Banalität des Bösen

Burgess hält, ähnlich wie die Philosophin Hannah Arendt, verweigertes Mitgefühl für die Ursache des Bösen. Ihr Buch, das sie über das Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen SS-Obersturmbandführer Adolf Eichmann schreibt, nennt sie «Banalität des Bösen».

Nach seinem Erscheinen war sie – nicht ganz unerwartet – harten Anfeindungen ausgesetzt. Jüdische Zeitgenossen warfen ihr vor, sie verharmlose. Der deutsche Spießbürger – den sie vor allem im Visier hatte – lehnte auch weiterhin jede persönliche Verantwortung für den Holocaust und andere Kriegsverbrechen ab. Erstens hat er nämlich von all dem nichts gewusst, zweitens hatte er nicht die Wahl und drittens stets nur seine Pflicht getan.

Kann man mit Härte das Böse besiegen?

Was hat das mit dem Thema hart und weich zu tun? Viel!

Burgess‘ Antwort auf das Böse ist hart. Bei jeder Teufelsaustreibung wird das Böse (von Guten?) mit unerbittlicher Härte ausgetrieben. Entscheidend ist: Geschieht das aus Mitgefühl? Oder ohne Mitgefühl? Und was macht das Züchtigen mit jenen, die schlagen?

Was macht das Züchtigen, aus denen die schlagen? 

Folgenreich ist nämlich nicht nur, wie Bestrafte, aus dem Prozess der Züchtigung herausgehen, sondern auch, was der Akt des Strafens mit denen macht, die strafen. Gehen nicht auch sie als andere aus diesem Bestrafungsprozess heraus? Sind sie danach noch Gerechte oder einfach nur Selbstgerechte.

Das Lamm Gottes

Das «Lamm Gottes» geht den radikalsten Weg. Christus opfert sich und nimmt die Schulden der Welt auf sich. Er will, dass wir gut sind. Er fordert Barmherzigkeit und erinnert uns daran, dass jeder ein Sünder ist. Ausnahmslos. Den ersten Stein werfen darf nur, wer ohne Fehl ist. Davon sind wir heute sehr weit entfernt. Das Steinewerfen hat Konjunktur.

Das Steinewerfen hat Konjunktur

Selbstgerechtigkeit und der Wunsch nach Perfektion beruht immer auf Selbstüberhöhung. Dass Christus von uns fordert, (auch) unsere Feinde zu lieben, und ihnen auch noch die andere Wange hinzuhalten, geht den meisten Menschen zu weit.

Eine Einladung zuzuschlagen ist es trotzdem nicht

Radikaler kann man das bedingungslose Vertrauen in die Unbesiegbarkeit der Güte tatsächlich nicht einfordern.

Eine Einladung zuzuschlagen, ist es trotzdem nicht.

Doch vielleicht gilt unsere Sorge viel zu selten den Tätern. Was geht in ihnen vor? Wo kommt so viel Hass her? Wie können sie damit leben?

Mitgefühl und Empathie

Empathie ist angeboren. Aber nur wenn wir von klein auf Mitgefühl erfahren, wächst in uns die Sensitivität, das soziales Empfinden, das uns zu mitfühlenden Menschen macht. Wer nicht mitfühlen kann, ist fast immer krank oder selbst Opfer. Wie viel Sinn macht es also,  ausgerechnet diesen deformierten Menschen mit Härte und Selbstgerechtigkeit zu begegnen und sie in der Gewissheit ihrer Verlorenheit zu bestärken?

Auch aus der Lernpsychologie wissen wir: Strafen hilft nie. Nur Unterstützung und Motivation.

Nur Leben ist Reichtum

Auch der Blick in die Evolution ist in Bezug auf unser Thema lehrreich. Wie viel Härte brauchen Tiere und Pflanzen, um zu überleben? Bevorzugt die (belebte) Natur Intransigenz? Innenpanzer, Außenpanzer, Skelette haben in der Tat eine wichtige Funktion. Sie tragen, stabilisieren und schützen die Verletzlichkeit des im Wesentlichen weichen Lebens: Stark durchblutete Organe, das Gehirn, verletzlichen Blutgefäße und zarte Nervenbahnen.

Für Mediziner sind Verhärtungen Anzeichen von Entzündungen oder Krankheit. Kalkablagerungen in den Gefäßen gefährden für Leib und Leben.

Wo nichts mehr fließt ist Leben unmöglich

Wo sich nichts mehr bewegt, nichts fließt und alles starr ist, ist Leben ganz und gar unmöglich. Leben ist ständige Veränderung, braucht den ständigen Fluss von Energie. Wir steigen niemals in den gleichen Fluss.

Wo die Umweltbedingungen am Härtesten sind, überlebt das Biegsame. In Erdbebengebieten stehen Häuser, die mitschwingen können. Wenn die meisten Bäume schon gefallen sind, richten sich der Bambus und Grashalm wieder auf. Härter als der Berg ist nur das Wasser, das ihn mit der Zeit besiegt.

Nur die Harten kommen in den Garten?

«Survival of the fittest» wird als «ehernes Gesetz der Evolution» von den Hohepriestern der freien Marktwirtschaft gerne missdeutet. Dahinter steht übrigens (das) System.

Zutreffender ist: Überleben werden nicht die Härtesten, sondern die «Angepasstesten». Im Spiel des Lebens durfte immer nur die Art ein Spielfeld weiterziehen, die lernfähig war und sich rechtzeitig an veränderte Umweltbedingungen anpasste.

Kann ein Homo Sapiens, der in die Evolution eingreift, daran an etwas ändern?

Kooperation schlägt Konkurrenz

Evolutionär erfolgreich zu sein, erfordert viel öfter das Gegenteil von Konkurrenz. In der Natur überwiegt die Kooperation mit Artgenossen bis hin zur Aufopferung für die Gemeinschaft. Schwarmintelligenz und Symbiosen sind sehr erfolgreiche, evolutionäre Strategien

 Keiner ist härter: Der Mensch

Homo Sapiens ist evolutionär betrachtet, ein game-changer. Eine gefährlich unkooperative Art. Keine Spezies war in den Dimensionen Vermehrung, Ausbreitung und Eingriffstiefe bisher erfolgreich als er. Aber kann man einen Krieg gegen die Natur gewinnen? Wäre nicht Lernen von der Natur jetzt ganz dringend angesagt?

Hart wie Kruppstahl – zäh wie Leder – flink wie Windhund

Als «Krieg (oder Kampf) aller gegen alle» charakterisiert der englische Philosoph Thomas Hobbes in seinem Werk De Cive (1642) den Naturzustand der Menschheit und begründet so die Forderung nach einer absoluten Macht. Sein Zeitgenosse Shaftesbury wollte ihm darin nicht folgen. Er glaubte an die Kooperation und die Selbstlosigkeit des Menschen.

Die Sehnsucht, immer dazu zu gehören ist gefährlich

Verhaltenswissenschaften und Neurobiologen geben heute Shaftesbury Recht. Schon Babys wollen kooperieren. Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Entwürdigung lösen von klein auf Mitgefühl (Schmerz) aus, und den Wunsch zu Helfen. Opportunismus aus Angst «nicht dazuzugehören», macht aus uns moralisch gesehen schwache Wesen.

Gelingt es egoistisches, hartherziges und gieriges Verhalten als Gruppenregel zu etablieren, mutieren auch friedliebende Zeitgenossen zu Folterknechten und Schreibtischtätern. Wer seinen moralischen Kompass nicht rechtzeitig, unbeirrt, unmissverständlich, hartnäckig, selbstbewusst und standfest vertritt, findet sich in Verhältnissen wieder, die ihn verbiegen.

Welche Macht? Wessen Macht?

Zusammenleben braucht Regeln. Der Umgang mit der Natur auch. Trotz Vernunftbegabung und Wunsch nach Kooperation war der Mensch mit seinen Versuchen, eine dauerhafte und gute Ordnung zu etablieren und in Frieden miteinander und der Natur zu leben, nur selten erfolgreich. Die Unordnung liegt ursächlich vor allem auch in ihm.

Die Unordnung liegt ursächlich auch im Menschen

Die ökologischen und sozialen Probleme der Gegenwart sind sowohl Folgen von Übermut, Selbstüberschätzung, Rachegelüsten, sinnloser Härte und Gier, als auch von Wegschauen, Wegducken, Teilnahmslosigkeit, Verweigerung von Mitgefühl, Bequemlichkeit und Feigheit.

Liegt es daran, dass Menschen bisher zu weich waren? Dass sie dies zuließen? Oder liegt es daran, dass er zu hart war und mit seiner Härte, das Harte stark macht und nährt?

Meine Vermutung: Wir wissen es nicht. Die Geschichte der Menschheit ist noch immer ein Experiment mit offenem Ausgang.

Das Universum und die Erde brauchen diesen ebenso weichen wir harten homo Sapiens nicht. Aber Gott braucht ihn. Wozu sonst würde es uns seiner bedürfen?

Die Macht des Weichen

«Dass das weiche Wasser in Bewegung, mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt. Du verstehst, das Harte unterliegt.» Mit diesem Satz endet die kurze Erzählung Brechts über die Entstehung des Buches «Taoteking». Das war hauptsächlich politisch gemeint und ein ebenso schöner, wie tröstlicher Gedanke.

Wer keine Lust hat darauf zu warten, kann aber auch heute schon selber was tun.

Was tun?

Wenn vor allem Wegschauen und Gleichgültigkeit die wichtigste Ursache für das Böse in der Welt sind, müssen wir dann nicht mehr und härter kämpfen? Ich denke Ja. Aber selbst zu verhärten ist auch keine Lösung. Denn auch der Zorn entstellt das Gesicht. Was nützt es, wenn am Ende des Kampfes nichts mehr bleibt, wofür es sich zu leben lohnt? Und damit meine ich vor z.B. Liebe, Vertrauen, Zärtlichkeit, das Miteinander.

Auch der Zorn entstellt das Gesicht

Harte Kämpfe bringen noch mehr Härte und Leid in die Welt. Der Fehler hat System, und er liegt auch in dem Wunsch den Gegner zu besiegen. Das Projekt Menschwerdung stirbt an einem eklatanten Mangel an Barmherzigkeit, Liebe und Vergebung und an unserem erbarmungswürdigen Hang zur Selbstgerechtigkeit, die – wie die Dummheit – nur sich selbst kennt. Sie fördert die Blindheit für den Balken im eigenen Auge.

Dem Harten weichen

Unter den härtesten Herrschern und im Krieg ist es klug, sich einem Kampf, den man nicht gewinnen kann, zu verweigern. Trotzdem brauchen wir alle die Standhaftigkeit, für eine Welt zu streiten, in der die Güte weder der Aufopferung noch des Heldentums bedarf. 

Weich sein bedeutet klug sein, bedeutet sich der Dummheit der Rechthaberei und der Gewalttätiger beim Denken und im Handeln zu entziehen.

(Auf)Weichen kann – wenn wir es als Prinzip der Nicht-Kooperation verstehen – sehr mächtig sein. Mächtiger als jede Härte und Gewalt. Es ist möglich dem Bösen, der Gier und dem Hass die Grundlage entziehen, indem man nicht mit ihnen kooperiert. Nichts ist mächtiger als die Macht der Nicht-Kooperation.

Die Macht der Nicht-Kooperation

Wer nach den Regeln der Täter spielt, macht sie stark und hat schon verloren. Bürgerlicher Ungehorsam – klug gedacht und gut gemacht – sollte das Werkzeug sein, die Welt und uns zum Guten zu verändern.


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