Wenn wir reparieren können wir die Wachstumsspirale vom Kopf auf die Füße stellen
Rede Anlässlich des Reparaturfestivals Kiel – Anschar Campus
10. Mai 2025
Liebe Freundinnen und Freunde der reparierten Dinge,
liebe Bastler, Retter, Tüftlerinnen, Upcycler, Neugierige, Skeptiker, Wiederverwender, liebe Heldinnen des Alltags,
herzlich willkommen an diesem Ort, wo Dinge ein zweites Leben bekommen.
Wo Schraubenzieher Hoffnung machen.
Lötkolben Geschichten weiterschreiben.
Wo wir gemeinsam sagen: Schluss mit dem Wegwerfen – fangen wir an, an uns selber zu glauben und uns die Welt so wie wir sie lieben, zurückzuholen.
Heute und hier sind wir nicht im Land des „Immer-neu“ –
wir sind im Land des Noch-nicht-fertig.
Im Reich der Dinge mit Kratzern, Löchern, Rissen die Geschichten erzählen und eine Seele haben.
Und vielleicht – vielleicht – sind wir auch ein bisschen im Land der Zukunft.
Denn wenn wir heute hier Dinge reparieren, verschönern, aufarbeiten,
dann reparieren wir nicht nur das was wir oder ein anderer einmal geliebt und genutzt hat
Wir reparieren etwas Größeres.
Dann reparieren wir auch Beziehungen – zu Objekten, zur Natur, zu uns selbst.
Denn ganz sicher wäre das die wichtigste Revolution unserer Zeit:
Dass wir aufhören, immer alles neu zu kaufen.
Und stattdessen anfangen, die Dinge zu sehen.
Wirklich zu sehen.
Wenn wir uns hier heute umschauen, sehen wir mehr als Tische voller Werkzeuge.
Wir sehen Vertrauen in das eigene und fremde Können.
Wir sehen Menschen, die nicht aufgeben, wenn etwas kaputt ist.
Wir sehen Neugierde, Kreativität – und ganz viel leise, aber entschlossene Gegenwehr.
Gegen was eigentlich?
Gegen ein System, das uns weismacht:
:
„Wenn etwas nicht mehr glänzt – wirf es weg.“
„Wenn etwas nicht mehr funktioniert – kauf dir was Neues.“
„Wenn du traurig bist – kauf dir was Schönes.“
Doch wir sagen hier und heute dazu: Nein.
Wir sagen: Vielleicht ist genau das Kaputte das Wertvolle.
Für uns ist ein Riss in einer Tasse der Anfang einer neuen Geschichte.
Denn das, was du selbst mit deinen Händen reparierst, ist – wir alle wissen es – am Ende mehr wert als alles, was man kaufen kann.
Darum bin ich heute hier.
Nicht nur, um über Schrauben und Klebstoff zu sprechen.
Sondern über Freiheit.
Über Selbstwirksamkeit.
Über die Schönheit des Gebrauchs.
Und über eine Vision:
Wie wir mit gemeinschaftlichem Tüfteln die zerstörerische Wachstumsspirale auf den Kopf stellen können.
Obsoleszenz – Der geplante Verschleiß
Was für eine merkwürdige Welt:
Da bauen wir Raketen zum Mars –
aber keine Toaster, die länger als drei Jahre halten.
Das nennt man Obsoleszenz. Ein schweres Wort –
doch als Prinzip ganz leicht zu verstehen:
Ein Produkt wird so gebaut, dass es nicht lange hält.
Ein Verschleiß, der nicht zufällig, sondern gewollt ist.
Ein eingebautes Verfallsdatum.
Ein unsichtbarer Timer, der mit dem ersten Einschalten zu ticken beginnt.
Warum das?
Weil ein Toaster, der 20 Jahre hält, ein schlechter Toaster ist –
für ein System, das von der Lüge lebt, dass das Neue immer besser ist und uns endlich glücklich macht.
Vom Immer-Neu. Vom Immer-Schneller.
Der Kapitalismus, so wie wir ihn heute kennen,
braucht Obsoleszenz wie ein Feuer den Sauerstoff.
Ohne ständigen Verbrauch – kein Wachstum.
Ohne Wachstum – kein Profit.
Ohne Profit – kein Kapitalismus.
Also wird Verschleiß zur Strategie.
Es gibt technische Obsoleszenz:
Geräte, die nicht zu öffnen sind, deren Akkus verklebt, deren Ersatzteile nicht mehr lieferbar sind.
Psychologische Obsoleszenz:
„Dein Handy funktioniert noch? Aber das ist doch das alte Modell…“
Und schließlich die soziale Obsoleszenz:
Wenn du nicht konsumierst, gehörst du nicht dazu.
Obsoleszenz ist kein Kollateralschaden.
Obsoleszenz ist der stille Befehl: Konsumiere. Immer weiter.
Doch das hat seinen Preis.
Einen Preis, den nicht nur wir zahlen.
Sondern vor allem die Natur.
Die Wälder, die für Verpackungen sterben.
Die Böden, die für seltene Erden vergiftet werden.
Die Kinder, die Kobalt abbauen, damit wir ein bisschen schneller wischen können.
Obsoleszenz ist ein stiller Krieg –
gegen die Natur,
gegen unser eigenes Können,
gegen die Zeit,
gegen das Leben selbst.
Denn sie entreißt uns das, was wirklich Bestand haben könnte:
Sinn, Verbindung. Bedeutung. Geschichten. Spuren.
Und sie entreißt uns unsere Fähigkeiten, unser Vertrauen in unsere Selbstwirksamkeit, unser Vertrauen in das, was wir selbst gestalten können, in der Hand haben.
Obsoleszenz verwandelt kompetente Menschen in inkompetente hilflose Käufer und Nutzer,
Sie macht aus dem Homo Faber, dem schöpferischen, sei Leben und die Welt aktiv gestaltenden Menschen,
ein Animal Laborans –
das arbeitet, damit es konsumieren darf.
Und das konsumieren muss, damit es weiter arbeiten darf.
Diese Welt, in der alles schnell veraltet, ist auch eine Welt,
in der wir uns selber ständig neu „erfinden“ müssen und nicht alt und gebrechlich werden dürfen.
Wir müssen jünger, schöner, schneller sein.
Und vor allem niemals echter, verbundener, genügsamer, verletzlicher, gebrechlicher und selber auch fehlerhaft.
Wir können aber auch anders:
Mit der Schraube, die wir wieder festdrehen.
Mit dem Handy, dass einen neuen Akku erhält.
Mit dem Kleid oder Mantel, dessen Reisverschluss wir ersetzen, mit der Hose deren Risse mit einem Flicken verschönert werden, mit allem das wir reparieren und umgestalten oder einfach auch selber machen. Weil wir es können.
Weil wir mehr können als wegwerfen.
Denn wer repariert, widersetzt sich der Obsoleszenz.
Und wer sich ihr widersetzt, gewinnt etwas zurück,
das uns genauso planvoll wie die technische Obsoleszenz viel zu lange aktiv genommen wurde: unsere Autonomie unser Vertrauen in unsere selber und in unsere Fähigkeiten die Dinge und den Zustand der Welt selber und gemeinsam in die Hand zu nehmen.
Konsum und Unfreiheit – Warum Kaufen nicht glücklich macht
Wir leben in einer Welt, in der es scheinbar für jedes Problem nicht nur ein Produkt gibt, sondern darüber hinaus auch noch immer wieder neue und angeblich bessere. Produkte, die nicht die Lösung für unsere Probleme sind, sondern die Probleme die zu lösen sie vorgeben, oft genug selber erst herstellen.
Fühlst du dich müde? Kauf dir Energie.
Fühlst du dich einsam? Kauf dir Aufmerksamkeit.
Fühlst du dich leer? Kauf dir – etwas.
Aber was wir kaufen, hält selten, was es verspricht. Es gibt uns keine Energie, es nimmt sie uns.
Die Müdigkeit bleibt. Die Einsamkeit auch.
Und das Leere – unsere Wohnungen – sind immer voller – mit Dingen, aber nicht mit Leben.
Konsum macht nicht satt – er macht hungrig.
Er verspricht Erfüllung, wo eigentlich Beziehung sein sollte.
Beziehung zu uns selbst, zu Freunden, Nachbarn, Natur und alle den anderen Mitgeschöpfen, die genau wie wir Leben sind, inmitten von Leben, das leben will.
Wenn wir alles immer wieder neu kaufen, was wir zu brauchen glauben,
verlernen wir, es selbst herzustellen.
Und was wir nicht mehr selbst herstellen können,
macht uns abhängig.
Konsum ist bequem. Unfreiheit ist bequem. Bis sie anfängt weh zu tun.
Der Philosoph Oskar Wilde hat das schon vor über 100 Jahren erkannt.
Er nannte es die „Tyrannei der Not“ –
die Notwendigkeit, ständig an Geld denken zu müssen,
um zu überleben, um dazuzugehören, um anerkannt zu sein.
Diese Notwendigkeit, so sagte er, sei die „größte Quelle des Unglücks“.
Wir arbeiten, um Geld zu verdienen.
Mit dem Geld kaufen wir Dinge.
Diese Dinge gehen kaputt –
und damit wir sie ersetzen können,
müssen wir… wieder arbeiten.
Ein perfekter Kreislauf. Für den Markt.
Ein goldener Käfig. Für uns.
Konsum ist die moderne Form der Knechtschaft.
Glänzend verpackt, bequem geliefert –
aber in Wahrheit: eine Entfremdung von uns selbst.
Denn je mehr wir kaufen,
desto weniger wissen wir, was wir wirklich brauchen.
Je mehr wir besitzen,
desto weniger spüren wir uns und was wirklich zu uns gehört.
Je mehr wir auf Knopfdruck verfügbar haben,
desto weniger wissen wir, wie etwas entsteht –
wie etwas repariert, gepflegt, verstanden, erhalten wird.
Wir werden Konsumenten mit vollen Wohnungen und stummen Händen.
Aber:
Hände, können Zerlegen und Zusammensetzen, können Fühlen und Formen. Können Erhalten und Erschaffen.
Und genau ist es auch, was hier auf diesem Campus der Fall ist und ununterbrochen geschieht:.
Wir holen uns zurück,
was wir nie hätten aufgeben dürfen:
unser Können, unsere Fähigkeit Welt und unser eigenen Leben in die Hand zu nehmen und zu gestalten.
Reparatur als Revolution – Was wir wirklich wiederherstellen
Stellt euch vor:
Ein Mensch beugt sich über einen kaputten Stuhl.
Die Oberfläche ist zerkratzt, ein Bein wackelt.
Doch mit jeder Schraube, die wieder greift,
mit jedem Pinselstrich, der die Oberfläche wiederbelebt,
wird nicht nur der Stuhl repariert –
sondern etwas viel Wesentlicheres:
In dem Moment, in dem wir etwas retten,
retten wir auch ein Stück von uns selbst.
Reparieren ist mehr als ein technischer Akt.
Es ist ein kultureller, ein sozialer, ein spiritueller Akt.
Es ist unser Nein zum Vergessen.
Ein Ja zum Wert.
Ein Ja zum Leben.
In Japan gibt es die Kunstform Kintsugi.
Zerbrochene Keramik wird dort mit Gold oder Silber neu zusammengefügt.
Die Bruchstellen bleiben sichtbar – ja, sie werden sogar betont.
Und das Gefäß?
Es wird dadurch nicht entwertet, sondern veredelt.
Der Schaden wird nicht versteckt –
er wird geehrt.
Weil er zeigt: Dieses Objekt lebt, wurde gelebt und belebt noch immer.
Auch in der Philosophie des Wabi-Sabi –
der Ästhetik des Unvollkommenen, des Vergänglichen –
finden wir diese tiefe Ehrfurcht vor dem Leben und dem Gelebten.
Kratzer sind kein Makel, sondern eine Geschichte.
Der Riss ist kein Mangel, sondern eine Erinnerung.
Was wäre, wenn wir uns selbst so sehen würden?
Nicht als perfekt, sondern als unersetzlich?
Nicht als „neu“, sondern als lebendig gebraucht?
Wenn wir reparieren, sagen wir:
Dieses Artefakt ist nicht Müll.
Es ist Teil meines Lebens.
Und ich will ihm noch mehr Leben geben.
Wir machen uns vertraut mit dem Inneren der Dinge –
und zugleich mit unserem eigenen Inneren.
Wir lernen: Das, was kaputt geht, kann auch wieder heil werden. Wir können wieder heil werden. Wir können die Welt heilen.
Und oft wird es danach sogar schöner, einzigartiger, bedeutungsvoller.
Die Reparatur ist eine Rebellion –
gegen das Wegwerfen.
Gegen das Tempo.
Gegen die Gleichgültigkeit.
Sie ist ein Akt der Zärtlichkeit.
Der Sorgfalt.
Der Entschleunigung.
Und sie ist ein Versprechen:
Dass auch in einer Welt voller Brüche,
Heilung möglich ist –
nicht trotz der Narben,
sondern mit ihnen.
Können macht frei
Was ist das Gegenteil von Konsum?
Nicht Verzicht. Nicht Armut.
Sondern: Können.
Denn wer etwas kann,
muss nicht alles kaufen.
Wer etwas kann,
weiß, wie etwas entsteht –
und erkennt den Unterschied zwischen Wert und Preis.
Können ist gelebte Freiheit.
Es ist die Fähigkeit, mit der Welt in Beziehung zu treten –
nicht als Konsument, sondern als Gestalter.
Unsere Großeltern wussten noch, wie man Dinge repariert.
Wie man näht, flickt, schleift, pflegt.
Dieses Wissen war einmal selbstverständlich.
Heute gilt es oft als exotisch – oder gar als „retro“.
Doch in Wahrheit ist es revolutionär.
Denn Können macht uns unabhängig:
von Märkten, von globalen Lieferketten,
Können ist unser ältestes Vermögen.
Es ist das Wissen unserer Hände,
das Gedächtnis der Finger,
Vertrauen ins eigene Tun.
Wer etwas kann, spürt:
„Ich bin nicht ausgeliefert. Ich bin handlungsfähig.“
Das ist nicht nur praktisch – das ist zutiefst politisch.
Könnerschaft – also das ausgereifte, das leidenschaftlich geübte Können –
ist eine Form der Würde.
Sie zeigt sich in jedem Handgriff,
in jeder Reparatur,
in jedem kleinen Sieg über das Wegwerfen.
Und sie hat etwas Ansteckendes.
Denn wer kann, kann auch weitergeben.
Wissen. Erfahrung. Geduld. Kreativität.
Und damit wird aus einem Flickwerk ein Netzwerk.
Aus Einzelnen wird eine Gemeinschaft.
Eine Gemeinschaft, die nicht passiv darauf wartet,
bis die Welt sich ändert –
sondern selbst anpackt, um sie zu verändern.
In dieser Gemeinschaft gibt es keinen Applaus für das immer Neue.
Sondern Respekt für das Gehaltene.
Für das, was gehalten hat, und zwar im Doppelten Wort-Sinn. das, was wir in unseren Händen gehalten haben und auch weiter halten wollen.
Das, was fürs Leben gut ist. In jeder Hinsicht. Für die Lebendigkeit in Gestalt der Natur. Für unsere eigene innere Lebendigkeit, die wir leben dürfen.
Können ist der Anfang von Selbstwirksamkeit.
Und Selbstwirksamkeit ist der Anfang von Freiheit.
6. Von der Wachstumsspirale zur Wertspirale – Eine andere Ökonomie ist möglich
Wir alle sind aufgewachsen mit einem Märchen.
Es heißt: Wachstum bringt Wohlstand.
Und solange die Zahlen steigen – auf dem Konto, im Lager, auf dem Bildschirm –
geht es uns gut. Oder?
Doch was wächst da eigentlich mit?
Die Müllberge auf dem Land, in den Böden, Flüssen und Ozeanen
Die CO₂-Konzentration.
Die Burnout-Raten.
Neuerdings auch die Waffenarsenale, denn der Endkampf um die letzten Ressourcen hat scheinbar begonnen.
Wenn Wachstum bedeutet, dass wir immer mehr produzieren müssen,
um immer schneller zu konsumieren,
um immer kürzer zu besitzen,
um dann alles zu entsorgen –
dann ist das keine Spirale nach oben.
Sondern ein Strudel nach unten.
Wir müssen das Märchen vom endlosen Wachstum umschreiben.
Nicht auf Kosten von Natur, Zeit und Menschen.
Sondern im Einklang mit ihnen.
Statt Wachstumsspirale brauchen wir eine Wertspirale.
Ein Kreislauf, in dem Dinge altern dürfen.
Ein System, in dem Reparatur, Teilen und Tauschen und Refurbishment nicht die Ausnahme ist –
sondern der Standard.
Maßproduktion statt Massenproduktion.
Qualität statt Quantität.
Gebrauch statt Verbrauch.
Das ist keine nostalgische Rückwärtsgewandtheit –
sondern der Blick nach vorn:
Eine Wirtschaft, die nicht von der Zerstörung lebt,
sondern vom Erhalten der Werte.
Vom Teilen. Vom Pflegen. Vom Erneuern.
Ein Gegenmodell zur Wegwerfgesellschaft.
Eine Ökonomie Gebrauch „fürs Leben“, wie John Ruskin es nannte.
Dinge, die „gut fürs Leben“ sind –
nicht nur schön oder günstig,
sondern nützlich, dauerhaft, sinnvoll.
In einer solchen Wirtschaft zählt nicht der schnellste Umsatz –
sondern der tiefste Nutzen.
Sie produziert nicht Konsumenten, sondern Könner.
Nicht Abfall, sondern Bedeutung.
Nicht Entfremdung, sondern Beziehung.
Und das Schöne ist:
Diese Wertspirale beginnt nicht irgendwo in den Ministerien oder Konzernzentralen.
Sie beginnt hier.
In der Werkstatt.
Am Schraubtisch.
Beim gemeinsamen Tüfteln.
Sie beginnt in Dir und in mir, mit uns.
Ausblick – Reparatur als Zukunftskultur
Stellt euch eine Welt vor,
in der der erste Reflex nicht das Wegwerfen ist,
sondern das Fragen: Kann man das reparieren?
Kann man das erhalten?
Kann man das schöner machen, als es je war?
Eine Welt, in der nicht der Besitz,
sondern das Verstehen zählt.
In der Dinge Geschichten tragen –
und Menschen Spuren hinterlassen dürfen.
Nicht als Makel, sondern als Zeichen von Leben.
Stellt euch Städte vor,
in denen es an jeder Ecke Werkstätten gibt.
Nicht nur für Fahrräder, Schuhe und Radios –
sondern auch für Hoffnung. Für Vertrauen. Für Gemeinschaft.
Eine Gesellschaft, in der Tüfteln nicht nur ein Hobby ist,
sondern eine Kulturtechnik.
Ein Ausdruck von Fürsorge.
Ein politischer Akt.
Denn wer repariert,
glaubt an die Zukunft.
Wer repariert,
glaubt, dass Wandel möglich ist –
nicht durch Ersatz,
sondern durch Zuwendung.
Und ja, das braucht Zeit.
Und Geduld.
Und manchmal auch ein bisschen Frust.
Aber es bringt uns etwas zurück,
das in keinem Supermarktregal steht: Beziehung.
Reparatur ist Beziehungspflege.
Mit den Dingen.
Mit den Menschen, die uns helfen, sie zu erhalten.
Mit den Händen, die wir benutzen.
Mit der Natur die uns so verschwenderisch alles gibt, was wir wirklich brauchen–
und meist nicht nur nichts zurückbekommt sondern als ein Ding behandelt wird, das wir ausrauben, ausbeuten und zerstören können. Ein schreckliches Verbrechen an ihrer Würde und an der unseren und an der Zukunft unserer Kinder.
Was wir heute hier tun –
Schrauben, Flicken, Kleben, Löten –
ist also nichts weniger als Kulturarbeit.
ist Zukunftsarbeit.
ist Freiheitsarbeit.
Wenn wir wollen,
dass unsere Kinder heut heute und morgen, mehr können als kaufen und konsumieren – wenn sie auch lernen dürfen, wie wir etwas wertschätzen und retten,
dann müssen wir diese hier gelebte Kultur pflegen und weitergeben.
Indem wir zeigen, was möglich ist.
Indem wir Räume schaffen, in denen das wirklich selber Leben können wachsen darf.
In denen es nicht um Perfektion geht, sondern um Sinn und Sinnlichkeit.
8. Schluss – Eine poetische Vision
Stellt euch vor, wir wären Archäologen der Zukunft.
Und wir graben nicht lauter Dinge aus, die kaputt ist –
sondern all das, was bewahrt wurde. Was den Mühen des Gebrauchs und den Mühen des Erhalts und der Pflege wert war.
Wir finden keine Müllberge voller Plastikspielzeug,
keine Telefone mit versiegelten Batterien,
keine Berge aus kaputtem Zeug,
sondern: Werkstätten.
Inseln der Beharrlichkeit.
Zeichen einer Kultur, die sich geweigert hat, aufzugeben.
Vielleicht wird man einmal über uns dann sagen:
„Sie haben sich erinnert.“
„Sie wußten was es heißt zu lieben.“
„Sie haben neu gemacht, was schon da war.“
„Sie haben Schönheit im Gebrauchen gefunden –
und Freiheit im Tun.“
Denn das ist es, was Reparatur uns schenkt:
Nicht nur das Weiterleben eines Gegenstandes –
sondern ein neues Selbst-Verständnis. Ein neues Verständnis unseres Selbst.
Wir sind viel mehr als Konsumenten.
Wir sind Menschen, wir sind Überlebende. Wir sind Könner.
Wir sind keine Passagiere in dieser Welt.
Wir sind Gestalter.
Wir sind nicht Besitzer von Dingen –
wir sind ihre Verbündeten.
Wir wissen:
Ein Riss ist kein Ende.
Ein Fehler kein Makel.
Ein Schaden keine Schuld.
Sondern ein Anfang.
Ein Anfang von Beziehung.
Von Fürsorge.
Von Freiheit.
Also lasst uns liebevoll neu gestalten, was bricht.
Mit jeder Reparatur, reparieren wir uns selbst und unsere Kultur. Lassen wachsen, was wachsen soll: Der Teil in uns, der verstanden hat, dass wir selber Natur sind.
Lebendige Natur, die leben will.
Die verbinden will.
Die erhalten will.
Die gut ist, fürs Leben.
Wir leben wahrhaftig in einer Welt, die repariert werden muss.
Aber zum Glück leben wir auch in einer Welt,
in es Menschen wie Euch gibt,
bereit sind, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen und genau daran zu arbeiten.
Also lasst uns schrauben, nähen, löten, sticken, stricken, häkeln, falten, kleben.
Denn wer repariert, kapituliert nicht.
und träumt nicht nur von einer besseren Welt –
sondern setzt sie Stück für Stück zusammen. .
Quellen:
C. Ax, Das Handwerk der Zukunft, 19
C. Ax, Die Könnensgesellschaft, 2008
C. Ax, F. Hinterberger Wachstumswahn, 2014