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Blog Christine Ax
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Landwirtschaftswende: Wer macht´s ?

Die Abstimmung für gutes Essen und gute Lebensmittel fand nicht nur im Saal sondern auch draußen rund um den Veranstaltungsort der Konferenz  „Wir haben es satt“ statt. Und sie findet wie immer täglich statt: In der Markthalle 9 in  Berlin Kreuzberg – in der sich auch ein Aldi befindet. Das Street-Food-Festival  – es soll angeblich das siebenunddreißigste in diesem Jahr in Berlin sein – zog tausende an. Delikatessen, Biolebensmittel, mobile Foodshops standen dicht an dicht. Der Überfluss und die Preise machten erneut deutlich, die Berliner Blase wächst und gedeiht. Dass die Mieten hier steigen, muss auch mit der Kaufkraft zu tun haben, die Berlin prägt. Dass sich Deutschlands Hauptstadt zu einem Hotspot der internationalen Jeunesse Dorée entwickelt hat, sieht man an jeder Ecke. Geld und Intelligenz mischt sich hier mit Kreativität, Postwachstum und Widerstand gegen die Konsumgesellschaft.

Markthalle 9 entwickelt sich zum Slow Food Zentrum

Die Markthalle 9 im Herzen Kreutzbergs, hat sich in kürzester Zeit zu einem Zentrum der Artisanal Food Szene entwickelt, und die Inhaber der Geschäfte übernehmen zum Teil eine aktive Rolle. Die Gründung der deutschen Sektion einer  internationalen Butchers-Guild (Fleischer-Bewegung), die in der

Markthalle 9: Gründung der deutschen Sektion der Butchersguild
Markthalle 9: Gründung der deutschen Sektion der Butchersguild

Markthalle Sonntag Abend von Wurst-Keule Inhaber Haas überzeugend zelebriert wurde, und zu der Fleischer aus Deutschland, Dänemark und den USA angereist waren, ist nur ein Beispiel für die Dynamik, die die Slow-Food-Bewegung in Berlin entfaltet. Nicht allzu weit davon entfernt, erinnert das Lokal „Toskana Fraktion“ an die Rot-Grüne Koalition der 90er Jahre, deren Entscheidungen (Agenda 2010, Hartz IV) die Entwicklung ganz Europas bis heute negativ beeinflusst.

Wir haben es satt

Drinnen in den Sälen der Konferenz „Wir haben es satt“ diskutierten die Insider und Aktivisten der Agrarwendebewegung, wie die Landwirtschaft nachhaltiger gestaltet werden kann und zwar nicht nur in Deutschland sondern weltweit. Denn das nationale und das internationale ist nicht zu trennen.

Wir haben es satt - und lassen uns nicht mehr über den Tisch ziehen. Bei dieser Aktion gewinnt ganz klar die bäuerliche Landwirtschaft und die Zivilgesellschaft.
Wir haben es satt – und lassen uns nicht mehr über den Tisch ziehen. Bei dieser Aktion gewinnt ganz klar die bäuerliche Landwirtschaft und die Zivilgesellschaft.

Deutschland als größter Netto-Im- und Exporteur an Lebensmitteln ist ein politisches Schwergewicht in der Agrarpolitik Europas und der Welt. Mariam Dalla aus Burkina Faso, die die Interessen von 1800 kleinbäuerlichen Milcherzeugerinnen und Molkereien vertritt, hatte stellvertretend für viele Länder des Südens beklagt, welch negative Folgen die Lebensmittelexporte aus Deutschland für die Landwirtschaft in ihrem Land hat. Sie und ihre Kolleginnen fordern von ihrer Regierung die Zölle auf Milchpulver auf 35% zu erhöhen. Sie fordern Schutzwälle zu bauen, gegen eine deutsche Agarpoltitik, die ihre Probleme auf Kosten der Schwächsten lösen will. Aus dieser Perspektive betrachtet sind weder TTIP noch CETA das größte Problem für die Nahrungsmittelversorgung des ärmsten Kontinents, sondern die 15 „EPA“s – bilaterale Handelsverträge mit afrikanischen Ländern – die in Arbeit sind. Sie sollen – so hört man – vor allem auch den deutschen Agrarexporten die Wege ebnen. Dass vor 30 Jahren nur 30 Länder auf Lebensmittelimporte angewiesen waren, und dass es heute über 110 sind, spricht eine deutliche Sprache.

Landwirte zwischen Hoffnung, Scham und Schuld

Die Bauern, die hier auf dieser Veranstaltung zu Wort kommen, sind hin und her gerissen, zwischen dem Wunsch ihren Betrieb gewinnbringend zu betreiben und der Scham, die auch sie empfinden, wenn sie mit den Folgen der Milch- oder Fleischexporte konfrontiert werden. Sie verweisen – nicht ganz unrecht – auf die Verantwortung der Politik und der Konsumenten.  Andererseits: Die beiden Tierärztinnen Dr. Kirsten Tackmann und Dr. Karin Thissen, die als Vertreterinnen der Linken und der SPD die Agrarpolitik ihrer Partei in der Abschlussdiskussion vertreten, wissen aus eigener Anschauung: Entscheidend für den Zustand in dem die Tiere am Schlachthof anlanden, ist nicht ob sie „bio“ sind oder nicht. Entscheidend ist, ob die Tierhalter sich für das Wohl ihrer Tiere einsetzen oder nicht. Was aber kein Argumente gegen Bio sei, sondern nur ein weiterer Hinweis darauf, dass der Spruch „Regional ist das Bio von Heute“ einen sachlichen Hintergrund hat, auch wenn das Bio-Label, da ist man sich einig, mit der höchsten Wahrscheinlichkeit ein Hinweis darauf liefert, dass die Tiere irgendwie besser gehalten werden, als in der industriellen Landwirtschaft und der Boden und die Artenvielfalt geschützt werden.

Landwirtschaftspolitik ist komplex und hat sehr viele Baustellen

Landwirtschaftspolitik ist komplex. Das Schlusspannel mit der Politik macht das wieder einmal mehr als deutlich. Die Veranstalter, die der Biolandwirtschaft und den Umweltverbänden nahe stehen und einen starken Fokus auf die Ernährung haben, brechen vor allem eine Lanze für die Bioanbauverbände. Sie weisen immer wieder darauf hin, wie wichtig es ist, dass der Bodenspekulation in Deutschland und dem Landgrabbing weltweit ein Ende bereitet wird. Die Art und Weise, wie das Land bebaut wird und wem es gehört, hat viele Konsequenzen: Für die langfristige Gesundheit des Bodens und des Grundwasser, für die Artenvielfalt, für die Gesundheit der Konsumentinnen und last but not least: für die Lebensbedingungen der BäuerInnen und Bauern. Anton Hofreiter, mit dem Vorwurf konfrontiert, sich nicht aktiv genug dafür einzusetzen, dass die die Flächen dem Bund gehören immer noch zum Höchstpreis verkauft werden und nicht nach anderern Kriterien, weist, in die Enge getrieben, darauf hin, dass es immer noch so viel wichtigere Baustellen derzeit gebe: Den Tierschutz zum Beispiel. Und ein anderer Landwirt stellt fest: Auch die Bauern haben ein Interesse an hohen Landpreisen. Immer dann jedenfalls, wenn sie verkaufen müssen oder wollen.

Massentierhaltung und Qualzucht sollen eine Ende haben

Tierschutz und Milchseen, das wird immer wieder deutlich, hängen eng zusammen. Ulrich Draub aus Bremen, einer der Pioniere einer anderen Landwirtschaft und eine zukunftsfähigen Entwicklung, wird ganz wütend, wenn er darüber erzählt, wie Tiere behandelt werden. Und in Sachen Tierschutz bekommt er von vielen Experten und selbst v0n „konventionellen“ Landwirten Unterstützung. Selbst der Landwirt aus dem Emsland, der  die neue Bauernbewegung „Wir machen Euch  satt“ vertritt, ist an diesem Punkt selbstkritisch. „Wir (Bauern) müssen in Sachen Tierhaltung und -zucht selbstkritischer sein. Wir dürfen die Probleme nicht verleugnen. Wir müssen hinsehen.“ Nur dass die Schlussfolgerungen, die er daraus zieht, in eine ganz andere Richtung gehen, als es sich die Argrarwendebewegung wünscht. Er fordert – genau wie der Vertreter des Bauernverbandes auf der Eröffnungsveranstaltung – dass der Bau neuer Ställe so einfach wie möglich gemacht werden muss. Denn neue Ställe seien immer ein Fortschritt für das Tierwohl – egal wie groß sie sind.

Die Aufforderung, dass Deutschlands Kirchen dem guten Beispiel der katholischen Bischhofskonferenz Österreichs nacheifern mögen und ihre Fläche nur noch Biobauern an die Hand geben, finden weder der Vertreter der Landwirtschaft, noch die Landwirtschaftsexperten der SPD und der CDU richtig. Soweit möchte man nicht gehen. Denn auch Landwirte, die nicht nach Bio-Richtlinien produzierten, könnten gute LandwirtInnen sein.

Tierschutzgesetze und eine Begrenzung der zulässigen Gülleaufbringung könnten ein Schritt in mehr bäuerlichere Landwirtschaft sein.  Da war man sich einig. Wenn es nicht mehr möglich ist, Schweinen die Schwänze zu amputieren  gäbe es weniger Massentierhaltung.

Auch wenn die Diskussionen sehr viele gegensätzliche Interessengegensätze offenbarte gab es in einigen Punkte doch Übereinstimmung und zeichnen sich Koalitionen ab.

Exportfixierung schadet vielen  und nur ganz wenige profitieren

Die Fixierung der Deutschen Agrarpolitik  auf Exporte ist weder für die Landwirte, noch für die Tiere, noch für die Konsumenten ein Segen und sie „züchtet“ die Flüchtlingsströme von Morgen. Kranke Tiere, gestresste Bauern, unzufriedene VerbraucherInnen und dazu auch noch die Vernichtung so vieler Existenzen in Ländern  des Südens – wer kann das wirklich richtig finden? Wer braucht das, außer den Agrarkonzernen und einige wenige Großbauern.

Und die VerbraucherInnen sollen die Wahl haben. Tierische Produkte sollen so gekennzeichnet werden, dass die Konsumentinnen ihre Präferenz für artgerechte Tierhalten beim Einkauf leben könnten.

Einen neue Bodenpolitik wünschen sich zwar die meisten, finden sie aber auch schwierig umzusetzen. Die Agrapolitiker der SPD und CDU und der Grünen wollen die Spekulation zwar gerne beenden und anerkennen den Almendecharakter von Boden und Grundwasser – aber sie sehr skeptisch, wenn es um Eingriffe in die Eigentumsrechte geht. Dies sei nicht unmöglich, aber sehr schwierig.

Grüne, die Linke und SPD werden in der Debatte naturgemäß nicht müde zu betonen, was sie alles Gutes im Sinne des „Wir haben es satt“- Bündnisses tun würden, wenn sie nur endlich die Mehrheiten hätten.

Ohne Druck von der Strasse geht es nicht. 

Bereits am  Vorabend war im Rahmen einer Fishbowl-Runde ausgelotet worden, wo die „Wir haben es satt“-Bewegung politisch steht und welche Schritte 2017 in Angriff genommen werden sollen. Trotz großer Begeisterung für das bereits Erreichte und der erkennbaren Entschlossenheit den Kampf weiter zu führen – war auch viel Nüchternheit spürbar. Einen echten Durchbruch habe man noch nicht erzielt. So richtig geändert habe sich agrarpolitisch leider nichts. Allerdings: Die politische Lage sei günstiger denn je. Die vielen Menschen, die an der zentralen Kundgebung in Berlin bisher teilgenommen hätten, habe vieler Politiker das Fürchten gelehrt. Ohne Druck von der Straße gehe es nicht. Und da die politischen Verhältnisse so prekär und regierungsfähige Mehrheiten immer schwieriger würden, reichten heute auch kleine Wählerwanderungen aus, um Mehrheiten zu verändern.

Politik: Der Fortschritt ist eine Schnecke

Aber schnell geht in der Argrarpolitik trotzdem  gar nichts. Anton Hofreiter setzt seine Hoffnung auch auf den neuen EU-Agrarhaushalt 2020 bis 2027. Dann, so hofft er, könnten die 350 Mrd. Subventionen, die in den europäischen Agrarsektor fließen, vielleicht doch endlich genutzt werden, um den notwendigen Strukturwandel herbeizuführen. Dann so hofft er – und alle anderen auf dem Podium nicken – soll es öffentliche Mittel (Steuergelder) nur noch für öffentliche Aufgaben geben: Naturschutz, Landschaftspflege, Artenschutz und Grundwasserschutz. Für die Lebensmittel, die die Bauern dann außerdem auch vielleicht noch erzeugen, soll sie nur der Konsument bezahlen. Sofern die bereit und in der Lage sind, sie zu bezahlen.

Erst ganz am Ende – bei der Zusammenfassung der Tagung durch Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung – kommt der arbeitende Mensch noch einmal deutlicher ins Bild: Diejenigen, die die Arbeit machen (als Landwirte und oft sehr schlecht bezahlten Landarbeiter) und diejenigen, die mit ihren niedrigen Gehältern dazu verdammt sind so billig wie möglich zu essen.

Mein Kommentar:

Denn ob es uns  gefällt oder nicht: Weder unter denen, die die Säle füllten noch draußen auf der Straße waren viele von denen zu finden, die am Ende im Stall auf dem Feld und in den Werkstätten lustvoll an die Arbeiten geben müssen, damit die anspruchsvollen Städter und Genießer in Berlin Foodfestivals feiern können. Das geschieht nämlich derzeit nicht nur räumlich sondern auch mental sehr weit entfernt von den hippen Meilen Berlins. Der ländliche Raum ist nicht so schick und interessant. Die Bauern kaufen selber meist in Supermärkten ein. Und die Arbeit auf in den Ställen und auf den Gemüseäckern ist hart. Urban Gardening wird sie nicht ersetzen.

So gesehen war vielleicht die Gründung der „Butcherguild“, doch die wichtigste Nachricht des Tages. Denn die Fleischer und FleischerInnen, die dort oben auf der Bühne standen hatten vorher lustvoll gemeinsam feine Wurst hergestellt und waren offensichtlich stolz auf Ihr Handwerk und strahlten viel Freude und Selbstbewusstsein aus. 

Möglich wurde es, weil sich letztlich in Dänemark auf irgendeiner Veranstaltung zwei Großmeister verbündet hatten: Ein Fleischermeister und Hendrik Haase, Foodaktivist, Autor, „Vermarktungsmeister“ und Mitgründer der gläsernen Fleischerei  „Kumpel und Keule“. Eine innovative Fleischerei, auf deren Website zu lesen ist:

„Wir sind angetreten dem Fleisch und dem Handwerk die Würde zurückgeben.
Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen Transparenz, die handwerkliche Herstellung, die Herkunft des Fleisches und vor allem wieder der Geschmack.
Wir sind Teil einer neuen, jungen Generation von Metzgern, die mit Leidenschaft und Überzeugung auf der Suche nach allumfassender Qualität sind: vom Acker bis auf den Teller.“

Während Hendrik Haas die Fleischerei und ihre Werte mit großem Erfolg vermarktet und das „neue Fleischerhandwerk“ organisiert, steht sein Partner, der Fleischermeister in der gläsernen Werkstatt, und zeigt was gutes Handwerk kann. Wie viel diese besondere Berliner Mischung möglich macht, dafür ist nicht nur die Markthalle 9, sondern auch das Food-Festival mit seiner bunten Startup-Szene ein gutes Beispiel.

Fragt sich nur noch, wie wer diesen Enthusiasmus dorthin bringt, wo er am dringendsten gebraucht wird: Auf dem Lande und in die Werkstätten des „normalen“ Handwerks. Die Butcherguild ist ein guter Anfang. Denn je mehr Fleischer in Deutschland direkt mit Landwirten kooperieren und ihren Kunden erklären, dass Fleisch nicht gleich Fleisch ist, selbst wenn es ähnlich aussieht, ist viel erreicht.

 

 

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